Die Fahrt von Cusco nach Puno
Fast gleichzeitig fuhren (25. März) spätabends zwei Busse von Cusco weg nach Puno. Die direkte Strecke war nicht benutzbar, wegen Streiks von Minenarbeitern, Strassenblockaden und wahrscheinlich Polizeieinsätzen. Schon in Cusco war augenfällig, wie viele Polizei herumstand, alle in rabenschwarzen Kampfmonturen, Kugelwesten, Maschinenpistolen und Tränengasgewehren, und viele, teilweise gepanzerte Fahrzeuge standen in den Strassen. Um was es ging, erfuhr ich an den vielen Zeitungsständen. Dort versammelten sich zahlreiche Menschen, welche die neu eingetroffenen Schlagzeilen der ausgehängten Zeitungen lasen.
22 Uhr ging’s los. Niemand hatte eine Ahnung, welche Umgehungsstrecke gefahren wurde. Es war stockdunkle Nacht, und dann begann es in Strömen zu regnen. Man hörte nur Schlamm an den Busboden klatschen, manchmal schlingerte der Bus oder rutschte wieder ein paar Meter bei einer Bremsung. Eine Bernerin, die im andern Bus war, sagte mir später, es sei wohl besser gewesen, dass wir nichts gesehen hätten von den „Strassen“. Ich war da anderer Meinung; ich hätte das Ganze ganz gern bei Tageslicht erlebt. Als der Morgen dämmerte, waren wir immer noch weit weg von der offiziellen Strecke. Der Bus drängte sich abenteuerlich durch schmale Dorfstrassen und benutzte teilweise Strassen, die überhaupt nicht für so lange und schwere Fahrzeuge gedacht sind. Jedenfalls hat mich das, was ich an diesem Morgen gesehen habe, fast mehr über Peru gelehrt, als all die andern Tage. Und zwar auch sehr Positives (z.B. über die Hygiene: Bei jedem noch so kleinen Häuschen stand in etwa 10 Meter Abstand ein noch kleineres (alle blau und normiert), nämlich ein WC; das habe ich in einem Land, das zur 3. Welt gezählt wird, noch nie gesehen). – Die Fahrt, die normalerweise etwa 6 Stunden dauert, brachte es diesmal auf fast 12 Stunden. Und die Chauffeure haben eine Meisterleistung vollbracht.
Die Stadt am Anden-„Meer“
Der Titicacasee misst 8288 Quadratkilometer und ist damit über 15 x grösser als der Bodensee.
Puno (100’000 Einwohner) ist steil an die Hänge der eine Bucht umgebenden Berge gebaut. Eine Stadt für Fitte, kann man sagen! Mein Hotel lag schon weit oben. Und um auf den Cerro Huaisapata mit diesem riesigen Kondor, der über Puno wacht, zu kommen, musste ich sage und schreibe 800 Treppenstufen nehmen (habe gezählt).
Die Luft ist dünn hier oben, auf fast 4000 Metern Höhe. Und die Nächte bitterkalt. Das Hotel hatte keine Heizung, und so musste ich mich, ausser dem Schlafsack, zusätzlich in die zwei noch vorhandenen Decken einwickeln. Ich verstehe jetzt gut, warum die Andenbewohner oft dicke Wollsachen tragen.
Inselmenschen
Am zweiten Tag nahm ich an einer Tour auf die schwimmenden Inseln der Uro und zu den strickenden Männern auf der Insel Taquile teil. Gleich vorweg gesagt, die Fahrt mit dem Motorboot war mühselig. Etwa sechs Stunden hockten wir auf diesem monoton vor sich hin tuckernden Kahn, der gerade mal 10 km/h schaffte – und ein Weg war 30 km.
Endlich erreichten wir eine dieser berühmten Schilfinseln, die für Touristen zugänglich sind (der Rest des Uru-Gebiets ist geschützt).
Da erzählte uns ein Einheimischer, wie diese Inseln gebaut werden, und wie es sich auf ihnen lebt. Bunte Sachen wurden zum Verkauf ausgebreitet, auch konnten jene, die wollten (ich gehörte dazu), eine kleine Fahrt auf einem Schilfboot machen, das 40 und mehr Menschen ohne weiteres trägt.
Die Inseln sind verankert, sonst könnte es ja passieren, dass sich die eine oder andere plötzlich in bolivianischen Gewässern wiederfände … Diese Menschen leben vom Tourismus, und sie geben sich Mühe, ihre originalen Wurzeln zu behalten.
Dasselbe gilt für die 1700 Menschen, die auf der Insel Taquile leben. Berühmt sind hier die Webereien und Stickereien. Diese Textilkunst gehört seit 2008 zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit (UNESCO). Die Menschen leben von der Fischerei, dem Terrassenfeldbau und dem Tourismus. Die Einwohner haben sich in einer Genossenschaft organisiert. Diese kontrolliert den Tourismus und hat bis heute erfolgreich verhindert, dass auf der Insel ein Hotel gebaut wurde.
Auch hier kam ich nochmals um eine echte Anstrengung nicht herum. 200 Meter mussten wir den höchsten Berg der Insel hinauf kraxeln, um dort bei einem Einheimischen in seinem Restaurant verpflegt zu werden. Uns wurde auch erklärt, warum die Männer stricken, die Frauen hingegen spinnen (und weben). (Bemerkung: Ich habe leider keines dieser menschlichen Exemplare vor die Kamera gekriegt; aber es muss sie geben!) Diese textilen Tätigkeiten sollen unter anderem für die Partnerwahl wichtig sein. Das Einkommen der Familie hängt von den erzeugten Strickwaren ab. Im Gemeinschaftsladen am Dorfplatz ist jedes Produkt mit einem Etikett versehen, das zeigt, von welcher Familie es kommt. – Es gäbe viel zu berichten über dieses kleine Völkchen, z.B. über den ausgesprochenen Gemeinschaftssinn. Auch gibt es weder Polizei noch ein Gericht, denn alle kennen „die Regeln der Insel“. Und noch nebenbei: Katzen und Hunde sind hier verboten….
Auch der Abstieg zum winzigen (zweiten) Hafen hatte es in sich. Viele hatten Mühe (Höhe, Gelenkprobleme, Kondition); ich konnte mich glücklicherweise schon seit einigen Tagen akklimatisieren.
Kapitäne der Boote in traditioneller Tracht:
Und hatte sich das Ganze gelohnt? An diesem Tag hatte ich zwiespältige Gefühle. „Jein“, sagte ich mir ganz eindeutig-zweideutig. Alles wäre in Ordnung, wenn diese unendlich lange Schiffsreise nicht wäre. Viele sind eingeschlafen. Ich dachte mir, es wäre gut für Esoteriker, die sich in dieser Monotonie meditierend etwas „Andengeist“ einfliessen lassen wollten … Nein, ich möchte sagen, schnellere Boote müssen her. Dann lässt sich alles auf einen halben Tag reduzieren, mit viel Information für die interessierten Touristen.
Dieser alte Seelenverkäufer soll, wie ich gehört habe, regelmässig zwischen Peru und Bolivien hin und her schippern. (Das Grünzeugs sind Algen.)
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Diese Nacht (27.3. auf 28.3.) geht’s zurück nach Tacna und dann nach Chile. Ich will in einem Zug bis nach Iquique kommen.